Integration? Welche Integration?

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Ein Beispiel: Die Diplom-Anerkennung

Es müssen folgende Unterlagen vorgelegt werden:

  • Personalausweis
  • Lebenslauf
  • Diplom
  • Liste der belegten Fächer inklusive Noten
  • Abiturzeugnis, plus Liste der Fächer inklusive Noten  

Auf den ersten Blick, Unterlagen, die leicht aufzubringen scheinen nicht wahr?

Nein, dem ist aber nicht so! Nicht, wenn Sie gezwungen waren, aus einem anti-demokratischen Land zu fliehen, dessen Lebensbedingungen unmöglich sind. Insbesondere nicht, wenn Sie dieses Land schleunigst verlassen mussten!

Überspringen wir die Punkte „Personalausweis“ und „Lebenslauf“. Angenommen Sie haben auf gut Glück zumindest die Kopie Ihres Diploms bei sich. Als hätten Sie vor der Flucht die Möglichkeit gehabt, intensiv über die Option nachzudenken, in einer ungewissen Zukunft und in einem vermeintlich sicheren Land, sich an einer Universität einzuschreiben, um die eigene Ausbildung fortzusetzen. Auch dann kämen Sie nicht auf den Gedanken, eine Liste der belegten Fächer inklusive Noten mitzunehmen! Dazu wären Sie weder in der Verfassung, noch würde die Zeit dazu reichen! Um auch nur daran zu denken, diese belegte Liste mitzunehmen, müssten Sie in einem Land mit penibel funktionierender Bürokratie leben, die Sie selbst in hohem Maße verinnerlicht haben. (Jedoch sind in der Regel bürokratische Angelegenheiten der Staaten, aus welchen die Menschen flüchten, durch Korruption gekennzeichnet. Häufig unterliegt jegliche amtliche Entscheidung der Willkür korrupter Beamter oder Beamtinnen, weshalb seitens der Bürger nahezu nichts unversucht bleibt, um Genehmigungen oder Beglaubigungen zu sichern.)

Machen wir weiter: auf irgendeine Weise wiegen Sie sich in Sicherheit und Sie sind eifrig bemüht, sich dem neuen Land, in dem Sie sich befinden, möglichst fehlerfrei anzupassen. Trotz der schwierigen Bedingungen in den Sprachkursen haben Sie die Sprache gelernt und wollen nun Ihre akademische Ausbildung fortsetzen, um endlich in dem Land produktiv tätig zu werden.

Das Land, in dem Sie sich befinden fordert „Integration“. Die Frage ist folgende: ‘‘Wie können die Neuankömmlinge sich in das System des Landes eingliedern, ihr Leben als angepasste Individuen fortführen?‘‘ Nicht wahr? (Natürlich ist die Rede nicht von „gegenseitiger Anpassung“, sondern nur von der Anpassung der Ankömmlinge! -versteht sich-) Betrachtet man die Hindernisse, die sogar den Anpassungswilligen auferlegt werden, drängt sich folgende Frage auf: „Ist der Ruf nach Integration wirklich aufrichtig gemeint?“. Sich in einem Land zu integrieren, über dessen Bürokratie sich sogar die eigenen Bürger beschweren, mit für Neuankömmlinge, abermals erschwerten, nicht enden wollenden Forderungen nach schwer zugänglichen Unterlagen, ist tatsächlich sehr schwierig.

Lasst uns auch diese Frage überspringen: das Diplom, ja, natürlich ist dieses erforderlich! Liste der belegten Fächer inklusive Noten, nun gut, um einzusehen, welche Vorlesungen und Seminare belegt wurden und welche fehlen, ist diese auch erforderlich. Auch das ist verständlich! Aber von einem Universitätsabsolventen das Abiturzeugnis zu verlangen! Das ist eine wirklich Fragwürdige Forderung. Gleichgültig wie unterschiedlich die Bildungssysteme beider Länder sind, ist eine Rechtfertigung dieser nicht nachzuvollziehen!

Wo waren wir stehen geblieben: unter eventuellen Schwierigkeiten, mit begrenzter Zeit, mit begrenztem Budget, mit verschiedenen Ausgaben und durch das Kontaktieren von Freunden, Verwandten und Bekannten in dem Land, aus welchem Sie geflüchtet sind, gelangen Sie endlich an Ihr Diplom, Ihren Abiturzeugnis und Liste der belegten Fächer inklusive Noten. In dem Glauben alles vollständig vorbereitet und beglaubigt übersetzt haben zu lassen, wenden Sie sich an das zuständige Amt. Der zuständige Beamte sagt: „Ich schätze Ihre Bemühungen. Wie ich sehe, haben Sie die Sprache in sehr kurzer Zeit gelernt und können sich eigenständig um Ihre Anliegen kümmern, aber dennoch brauchen wir die Originaldokumente.“

Wie bitte? Nicht zu glauben nicht wahr?

In einer digitalisierten Welt, in der Sie jegliche Unterlagen in digitaler Form erhalten! Auch bei diesen handelt es sich doch um Kopien! Nachdem Sie sich bis zu diesem Termin mit zahlreichen Schwierigkeiten auseinandersetzen mussten und Sie glaubten, dass nun alles besser wird, wollen Sie an Ort und Stelle nur noch sterben!

Zeit, Energie, Hoffnungen und die Mühen, die so viele Menschen aufbringen mussten, um an diese Unterlagen zu gelangen… alles umsonst!

Für Personen mit politischen Fluchtursachen stellt das Aufbringen solcher Unterlagen ein großes Problem dar!  Eine oft anzutreffende Situation: Diese Personen werden in ihrem Heimatland als „potenzielle Bedrohung“ angesehen und die Universitäten weichen in der Regel nicht vom Regierungskurs der Diktatoren ab oder unterstützen diesen sogar, indem sie es sich-wie viele andere Institutionen auch-zur Aufgabe machen, politischen Gegnern das Leben schwer zu machen, statt regimeunabhängig zu agieren. Deshalb können diese Personen mit keinerlei Unterstützung seitens der Universitäten hinsichtlich der Beschaffung von Unterlagen rechnen. Die meisten trauen sich nicht einmal, die Herausgabe solcher Unterlagen anzufragen. Die, die es doch versuchen, merken schnell, wie aussichtslos es ist, an die originalen Dokumente zu gelangen. Sie schaffen es lediglich, sich Zugang zu den Kopien zu verschaffen, die mit dem Schriftzug „wie das Original“ versehen sind, welcher sogar übersetzt ist. Aber trotzdem ist nur das „Originaldokument“ Voraussetzung für die Anerkennung!

Diese Menschen sind wuterfüllt, aber diese Wut richtet sich nicht gegen das Aufnahmeland, sondern insgeheim gegen sich selbst, gegen das Land, aus dem sie flüchten mussten und gegen die Tatsache, dass sie gezwungen waren, zu fliehen… Und letztendlich gegen die Ohnmacht, die sie bei dem Versuch verspüren, die zahlreichen Hürden, denen sie im neuen Land begegnen, zu überwinden…

Wenn man diesen Menschen das Leben leichter machen würde, würde das den Integrationsprozess ungemein beschleunigen. Denn ein Lächeln, ein positiver Zuspruch und eine herzliche Einladung reicht, um das Herz dieser Menschen zu berühren und sie zur Partizipation zu ermutigen!Jeder, der mit zur Flucht gezwungenen Menschen in Kontakt getreten ist, konnte dies sicherlich oft beobachten.

Die Bürokratie in einem bestimmten Maße abzubauen und die Zahl der geforderten Unterlagen zu reduzieren, kann ein kleiner aber effizienter Schritt zur Lösung des Problems sein!

Natürlich kann man die Erschwerung der bürokratischen Abläufe als Schutzmechanismus betrachten, der vom Staat aufrechterhalten wird, um eine abschreckende Wirkung auf Einwanderer zu garantieren. Jedoch bleibt dabei die Tatsache unberücksichtigt, dass solche Schutzstrategien wenig sinnvoll sind, solange anti-demokratische Staaten existieren. Menschen flüchten weiterhin in relativ demokratische Länder und bleiben dort, wo sie ankommen. Solange sie an Barrieren geraten, die den Integrationsprozess behindern und hinauszögern, suchen sie entweder Zuflucht innerhalb der Mauern begrenzter Beziehungen der eigenen Gesellschaft oder versuchen, nicht gar so transparente Wege zu finden, um ihre Angelegenheiten zu erledigen. Will man, dass das System diese Menschen zur Erkundung oder Ergreifung solcher Maßnahmen verleitet? Oder ist es ausreichend, das Thema Integration immer wieder aufzugreifen, ohne ernsthafte Schritte auf der Gesetzes- und Ausführungsebene einzuleiten, auch wenn dabei das Konzept der „Integration“ ausgehöhlt wird?

Es ist allgemein bekannt, aber muss trotzdem immer wieder in Erinnerung gerufen werden, dass -vor allem von Menschen mit politischen Fluchtursachen- der Entschluss, die Heimat zu verlassen, nicht leicht gefasst wurde! Niemand verlässt freiwillig das Heimatland und entscheidet sich, seine verbleibende Lebenszeit, Energie und kulturellen Erfahrungen in Ungewissheit aufzubrauchen, wenn er nicht dazu gezwungen wird!

Das Zusammenleben zu lernen, Diversität als Gewinn für die Gesellschaft anzusehen und dabei Freude zu empfinden, ist eine gemeinsame Entscheidung von mindestens zwei oder sogar mehr Seiten. Die neuankommenden Menschen haben bereits verinnerlicht, dass es notwendig ist sich zu integrieren. Wäre es nicht von großem Nutzen, dieses verinnerlichte Gefühl zu fördern, anstatt es mit dem bürokratischen Verfahren ins Gegenteil umzukehren?

Şehbal Şenyurt Arınlı

Übersetzung-Sidar Özdemir

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